ENTENHAUSEN IST ÜBERALL
 

 

von Viktor Farkas   

Das Jahr 2000 kann mit einer Reihe von Jubiläen aufwarten. Manche davon sind naheliegend, andere scheinen an den Haaren herbei- gezogen. Wie auch immer.

Ein Jubiläum dürfte weithin unbekannt sein. Es veranlaßt mich in Würdigung einer weltbekannten Persönlichkeit im Matrosenanzug zu diesem Artikel, der im Detail weit über meinen Mensa-Vortrag vom 5. Mai 1997 "Donald Duck ist Kannibale. Das Medium Comic - eine Analyse" hinausgeht.

Vor genau zehn Jahren erschien die erste russische Ausgabe der MICKY MAUS. Damit hatte nicht nur der berühmte Mäuserich den Schritt in das ehemalige "Reich des Bösen" getan, sondern auch der noch berühmtere cholerische Enterich Donald Duck, der 1934 in Walt Disneys "Silly Symphonies" als "Little Wise Hen" und Anti-These zur quirligen Micky Maus das Licht der Welt erblickt hat. Donald ist, so H. C. Artmann vor vielen Jahren, "Der einzige Mensch, der es heutzutage noch versteht, ordentlich die Welt zu betrachten."

Zu besagtem Jahrestag gesellt sich die in mehreren Medien wiedergegebene Spiegel-Aufdeckung der Unterwanderung des FAZ-Feuilletons durch Donaldisten (Mitglieder der 1976 gegründeten Vereinigung D.O.N.A.L.D - Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus).

 Zeichnung von Viktor Farkas als Hommage an zwei Genies


Nicht anschließen kann ich mich der Ansicht, die in dem Zusammenhang von einigen Kolumnisten in FAZ-Beiträgen georteten sachlichen Fehler wären eine Folgeerscheinung des Einschmuggelns von Zitaten aus den "klassischen" Duck-Stories des genialen Carl Barks. Viel eher könnten sie ein Zeichen des allenthalben beklagten Qualitätsverfalls der Medienszene sein. Sei es wie es sei.

Was jedoch auf jeden Fall einer Korrektur bedarf, ist das verzerrte Bild des berühmten Erpels, der interessanterweise sowohl im linken wie auch rechten Lager (um diese längst überholte Zuordnung der Einfachheit halber zu gebrauchen) scheel angesehen wird. Von den einen wegen seiner angeblichen "monopolkapitalistischen, systemerhaltenden Züge" (ein gutes Beispiel: Ariel Dorfmann/Armand Mattelart: "Walt Disneys Dritte Welt - Kolonialismus bei Micky Maus und Donald Duck"), von den anderen, weil für sie "Die Ducks" schlichtweg US-Schund sind. Beide Standpunkte könnten falscher nicht sein.

Donalds satirische Erlebnisse verdienen es nicht, als Ausflüsse reaktionären Spät- oder Neo-Kapitalismus gebrandmarkt oder in den Kübel der Trash-(Un)Kultur geworfen zu werden, in dem Comics generell zu landen pflegen (mit der fast schon dogmatischen Ausnahme von "Asterix").

Im Gegenteil: Donald Duck gebührt ein Platz in der deutschen literarischen Kultur. Blasphemie? Mitnichten. Nicht grundlos, wenn auch natürlich satirisch gemeint, ist die Originalausgabe der legendären Analyse "Die Ducks - Psychogramm einer Sippe" 1970 als Band 1 in der "Wissenschaftlichen Verlagsanstalt zur Pflege Deutschen Sinngutes" erschienen.

Speziell in konservativen Kreisen wenig bekannte Tatsache ist, daß Donalds deutschsprachiges Alter-Ego - und mit ihm alle Bewohner Entenhausens - von der promovierten Kunsthistorikerin Dr. Erika Fuchs (Jahrgang 1906) übersetzt worden ist. Als Kenner von Comics auch mit den Originalen vertraut, kann ich mit Fug und Recht feststellen, daß diese brillante Mehr-als-Übersetzerin das US-amerikanische Ducksche Kulturgut (das ist es nämlich in der Tat!) des 1901 geborenen Carl Barks im wahrsten Wortsinn durch deutschen Firnis sozusagen "veredelt" hat. Sie hat, ohne den Sinn zu verändern, ihn vielmehr sogar verstärkend und für unseren Kulturkreis adaptierend, feine Ironie eingebaut (etwa wenn sie Feuerwehrleute Ecke Friedensallee und Kanonengasse auf Donald lauern läßt, der Bienen durch die Stadt transportiert, oder wenn sie das Atomenergielabor in der Geheimstraße Nr. 13 ansiedelt), und sie hat den viel geschmähten Textblasen literarischen Schliff gegeben.

Ein paar Beispiele belegen dies:

"Ei Traun fürwahr, mög‘ eher ich abscheiden von der Welt, als daß ein edles Herz im Unglück schmachte" (Heft 4, Jahrgang 1952. Donald als fanatischer Ritterdarsteller)

"Oh Verezweiflung! Oh dräuend Ungemach!" (Heft 6, Jahrgang 1952. Donald als männliches Klageweib, der dem von Sorgen geplagten Dagobert das Jammern abnehmen soll)

"Icus picus sellericus. Juristenlatein für: Da haben wir den Salat." (18. Sonderheft. Donald Duck und der Goldene Helm. Jahrgang 1954)

"Professor Knall. Keine Schönheit, aber ein bedeutender Chemiker." (23. Sonderheft. Donald Duck der Schlangenbeschwörer).

"Twiet!...Jabber!...Quack!...Ponk!...Honk!" (Kormoranisch. 10. Sonderheft Dagobert Duck, der "arme alte Mann". Jahrgang 1954)

"Wir pfeifen auf Pomade, auf Seife, Schwamm und Kamm.

Wir bleiben lieber dreckig, und wälzen uns im Schlamm." (DD 19/69)

Auf eine Abwandlung des Rütlischwurs aus der Feder von Friedrich Schiller stößt man, wenn Tick, Trick und Track einander an anderer Stelle abermals Seifenabstinenz mit diesen markigen Worten geloben:

"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr."

Die Welt verdankt Dr. Fuchs originelle Namens- und Wortschöpfungen wie: Die Panzerknacker Bande AG, den griechischen Philosophen Eukalyptos, den Justizrat Wendig, den Maharadscha von Zasterabad, den üblen Typen Gregor Ganovsky, den Kinderpsychologen Dr. Plappert, Berengar Bläulich, den Nachkommen von Olaf dem Blauen, den Versicherungsdirektor Ungewitter, den Ölmagnaten Kuno Mächtig, den wackeren Hilfspostboten Säbelbein, den alten Barsch Bombastus, die Brieftaube Turbodüse, Donald Ducks Alias als Senor Petrolo de Vaselino, Generaldirektor der Südamerikanischen Ölkompanie, das Dokument "Codex Raptus", Städte wie Freudenbad, das nach einer von Donald verursachten Katastrophe in Rührei umbenannt wird, die Buckelbergstraße, Bottichs Blecheimerfabrik, oder die originellen Musikstücke "Crescendo fortissimo" von Bompoff und "Der Untergang Pompejis" von Krachmaninoff.

Auch der gern zitierte Spruch "Dem Ingeniör ist nichts zu schwör" geht auf Fr. Dr. Fuchs zurück, die damit den manchmal geradezu faustischen Erfinder Daniel Düsentrieb treffend charakterisiert.

Viele Namensgebungen erfolgten nicht zufällig. Während beispielsweise Dagobert im Original nach dem Geizkragen aus Dickens "A Christmals Carol" Scrooge McDuck heißt, was dem riesigen $ auf seinem Geldspeicher die Doppelbedeutung von Dollar und seinem Vornamen gibt, trägt er im Deutschen den alten Merowingernamen Dagobert.

Eine Reihe skurriler Onomatopöien sind rein der deutschen Version vorbehalten, beispielsweise: "Klickeradoms", "Rhabarber", "Grummel", "Lechz", "Mummel", "Krächz", "Würg", "Schnurch" oder der Ducksche Dreiklang "Knurr! Grunz! Brumm.""

All das ist keine Verballhornung der deutschen Sprache, sondern eine liebevolle Spielerei mit ihren facettenreichen Möglichkeiten, die kaum eine andere Hochsprache in der Form überhaupt möglich macht. Das mußte einmal gesagt werden. Zur Ehre zweier genialer Künstler und eines Enterichs, von dem ein Stückchen in jedem von uns allen steckt.
 

Wer tiefer eintauchen will in das komplexe Carl Barks/Dr. Fuchs/Duck-Universum, in dem alles nur denkbar Menschliche liebevoll-ironisch, aber bei aller Subtilität messerscharf reflektiert wird, dem sei das bereits erwähnte Buch "Die Ducks - Psychogramm einer Sippe" empfohlen.

Dieser immer wieder aufgelegte Klassiker, den der Zeitungswissenschaftler und Pädagoge Michael Czernich, der Germanist und Philologe Carl-Ludwig Reichert und der Historiker und Soziologe Ludwig Moos unter dem gemeinsamen Pseudonym Grobian Gans veröffentlichten, ist eine echte Fundgrube. Randvoll mit schlüssigen Duck-Zitaten, verbunden mit phantasievollen Phantasiequellen, kombiniert mit seriös anmutenden Querverweisen zu Max Weber, Oswald Wiener, Konrad Lorenz, Herbert Marcuse, Max Horkheimer, Mao tse Tung, Hans Magnus Enzensberger, Theodor W. Adorno bis hin zu Lundbergs "Die Reichen und die Superreichen" über Dagoberts Umtriebe, wird selbst der puristischste Historiker oder Germanist daran seine helle Freude haben - natürlich nur, wenn er den nötigen Humor mitbringt.


Auch für den Psychologen und Freunde von Aufdeckungsjournalismus findet sich darin Faszinierendes, werden doch in dieser schonungslosen Analyse Masken aller Art heruntergerissen. Gustav Gans entpuppt sich als CIA-Agent und Homosexueller. Franz Gans, der Knecht von Oma Duck, wird anhand eines klaren Zitates und einer logischen Interpretation der Zustände auf Omas Hof sogar als ihr geheimer Liebhaber enttarnt. Noch schlimmer sieht es mit der Sexualität der männlichen Ducks aus.

Zitate: "Donald kompensiert die Forderungen seines Geschlechtes oral mit einer unbändigen Freßlust, oder in zahllosen pseudogenitalen Aktivitäten (dokumentiert mit Duck-Cartoons, in denen Donald phallische Gegenstände, z.B. einen Rammbock, wie rasend handhabt).

Dagoberts Baden im Bargeld, von unbefangenen Beobachtern als schrullige Laune akzeptiert, wird dem Wissenden zum abstoßenden Schauspiel sexueller Perversion. Die Berührung mit Münzmetall und Banknotenpapier versetzt ihn offensichtlich in rasch zunehmende Erregung, bis er sich mit erigiertem Pürzel kopfüber hineinstürzt und zur Erfüllung gelangt. Die Schlüssigkeit dieser Deutung belegt sein Verhalten, nachdem der Arzt eine Porenverstopfung durch Goldstaub bei ihm diagnostiziert hat. Er zeigt das verlegene Ausweichen eines Geschlechtskranken." (Zitat aus MM 7/66: Arzt: ‚"Wie hat Ihnen das nur passieren können? Wälzen Sie sich etwa in Gold?". Dagobert, errötend: "Darüber möchte ich nicht reden. (Ahem!)".)

Diese Höhepunkte lassen sich wohl kaum mehr steigern. Darum möchte ich mit den Worten des berühmten Malers und Duck-Fans Gottfried Helnwein alle jene ins Duck-Universum einladen, die bisher glaubten, es sei "nur" für Kinder: "Viele lesen Micky Maus-Hefte, wenige aber verstehen die Botschaft wirklich."


 

VOR-GELESEN

Holger Strohm
DIE STILLE KATASTROPHE
Verlag 2001, 568 Seiten, ISBN 3-86150-321-2, öS 241,-/DM 33,-/sFr. 47,-

(Buchempfehlung von Viktor Farkas)

Vor fast zwanzig Jahren, 1981, wühlte der Autor mit seinem Besteller "Friedlich in die Katastrophe" Wellen auf, die sich bis dato noch nicht gelegt haben, und die mit seinem neuen Buch abermals hochzugehen scheinen. In "Die stille Katastrophe" zieht er eine Bilanz, die zu denken geben sollte: Es herrscht zwar Baustopp in weiten Teilen der westlichen Welt, aber alternde Atommeiler sind nicht weniger problematisch als die Entsorgung des Atommülls, der - so das Resümee - inzwischen "auf der grünen Wiese lagert". Eine Studie soll ergeben haben, daß in der näheren Umgebung von AKW die Leukämierate von kleinen Kindern um 300% höher lag, rund um alte Atommeiler, die vor 1970 in Betrieb gingen, soll sogar eine um 700% höhere Rate festgestellt worden sein. Selbst wenn es nicht stimmt, daß es in den rund 500 weltweit in Betrieb stehen Reaktoren jährlich zu Tausenden von Störfällen kommt (in den rund 100 US-Atommeilern sollen es innerhalb von zwei Jahren sogar 5.400 Störfälle gewesen sein), daß in rund 50 Fällen die Reaktoren außer Kontrolle gerieten, daß Kraftwerke in Flammen gestanden und radioaktive Wolken ausgeströmt sind und 50 Super-GAUs buchstäblich in letzter Sekunde verhindert werden konnten - vom Verschwinden von waffenfähigem Plutonium ganz abgesehen -, sollte dennoch jeder mündige Zeitgenosse dieses Buch lesen, um sich selbst eine Meinung zu bilden.

Zum Thema - und noch darüberhinaus - der obligate Tip: In meinem neuen Buch "ZUKUNFTSFALLE - ZUKUNFTSCHANCE Leben und Überleben im Dritten Jahrtausend" (UMSCHAU/BRAUS-Verlag, überall im Buchhandel erhältlich) nehme ich zwar die Gesamtsituation der Menschheit unter die Lupe, nicht zuletzt aber auch wenig bekannte Aspekte des Atomteufels, dem wir schon öfter von der Schaufel gesprungen sind, als man die meisten von uns offiziell wissen ließ...

"Die stille Katastrophe" gibt es bei Zweitausendeins im Versand (Postfach, D-60381 Frankfurt am Main; E-Mail [email protected] / in der Schweiz über buch 2000, Postfach 89, CH-8910 Affoltern a.A.) oder in den Zweitausendeins-Läden in Essen, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Hannover, Köln, Mannheim, München, Saarbrücken, Nürnberg, Stuttgart. In Österreich bei der
Buchhandlung Löwenherz im neunten Wiener Gemeindebezirk, 1090, Berggasse 8 oder auf Bestellung im Buchhandel.

 

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